Vier relevante Problembereiche bei Carbon Capturing Projekten
"CCUS is a necessary bridge between the reality of today’s energy system andthe increasingly urgent need to reduce emissions. Not only can it avoid locking in emissions from existing power and industrial facilities, it also provides a critical foundation for carbon removal or negative emissions." - Dr. Fatih Birol, Director IEA
Unlängst ist das Thema Carbon Capturing verstärkt in den Fokus der Medien gerückt. Obwohl Technologien wie das Direct Air Capture noch in den Kinderschuhen stecken, wird ihnen bereits eine entscheidende Rolle auf dem Weg zur Klimaneutralität zugeschrieben. Politisch sind Carbon-Capturing-Initiativen ebenfalls auf dem Vormarsch: Eine Carbon Capturing Anlage für das Zementwerk von Heidelberg Materials wird beispielsweise mit einem staatlichen Zuschuss von 15 Millionen € aus dem Förderprogramm "Dekarbonisierung in der Industrie" im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) unterstützt.
Während sich Unternehmen der Primärindustrie – wie Stahlproduzenten, Kalkhersteller und Zementbetriebe – schon länger mit dieser Technologie befassen, ist sie für viele Unternehmen, einschließlich zahlreicher deutscher Mittelständler, noch Neuland.
Als Venture Builder mit Fokus auf nachhaltigen Innovationen befassen wir uns intensiv mit dem Thema Carbon Capturing. Dabei orientieren wir uns an unserem bewährten "Research Sprint"-Framework. In diesen Sprints identifizieren wir die zentralen Probleme und Herausforderungen verschiedener Industrien. Erst nachdem Expertinnen und Experten im Interview diese Problemfelder bestätigt haben, entwickeln wir erste Lösungsansätze und grobe Produktkonzepte. Diese werden in der darauffolgenden Phase der "Idea-Validation" überprüft und entweder bestätigt oder verworfen. Eine Idee, die alle wichtigen Kriterien – Desirability, Viability, Feasibility und Sustainability – erfüllt, mündet schließlich in der dritten Phase, dem "Product Builder", in die Entwicklung eines MVPs (Minimum Viable Product).
Unser Vorgehen um entsprechende Herausforderungen im Bereich Carbon Capturing zu Identifizieren:
- Relevanz von Carbon Capturing: Untersuchung der Bedeutung von Carbon Capturing in der aktuellen Zeit
- Marktlogik von Carbon Capturing: Auseinandersetzung mit der Marktlogik von Carbon Capturing (Technologien & Interaktion mit Stakeholdergruppen)
- Interviews: Austausch mit führenden Industrieakteuren, um direkte Einblicke in die praktische Anwendung von Carbon Capturing zu erhalten.
- Herausforderungen & Problemfelder: Identifikation von kritischen Problemfeldern und Herausforderungen
Doch beginnen wir mit dem ersten Punkt: Was ist Carbon Capturing und warum ist es heute so wichtig?
Relevanz von Carbon Capturing
Carbon Capturing bezeichnet eine Gruppe von Verfahren, die CO2 aus einer Quelle abscheiden, aufbereiten und komprimieren. Ein anschauliches Beispiel dafür liefert die Natur selbst: Pflanzen. Diese entziehen der Luft CO2 und verwenden den darin enthaltenen Kohlenstoff als essentiellen Baustein für den Aufbau ihrer Biomasse. Ähnliche Verfahren können auch chemisch umgesetzt werden. Bereits seit 1972 setzen Unternehmen Technologien ein, um CO2 aus ihren Emissionen zu entfernen. Das gewonnene CO2 wurde früher oft zur verbesserten Ölgewinnung, bekannt als Enhanced Oil Recovery, genutzt.
Gegen die Jahrtausendwende rückte das Thema Nachhaltigkeit immer stärker in den Mittelpunkt von Politik und Unternehmenskultur. Ein Meilenstein war 1997 das Kyoto-Protokoll, welches die Unterzeichnerstaaten zu konkreten Klimaschutzmaßnahmen verpflichtete. Es folgten zahlreiche internationale und nationale Vereinbarungen, darunter das Emission Trading System. Parallel dazu wuchs auch das Umweltbewusstsein der Konsumenten, was viele Unternehmen zu freiwilligen Klimaschutzmaßnahmen motivierte. Viele dieser Maßnahmen verfolgen das Ziel, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt, etwa 2030, klimaneutral zu sein. Unternehmen streben danach, diesem Ziel näherzukommen, indem sie zuerst ihren aktuellen CO2-Ausstoß ermitteln. Seit 2023 ist dies durch die europäische Gesetzgebung in Form der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) auch verpflichtend. Anschließend rücken Maßnahmen zur Reduzierung der Emissionen in den Vordergrund, wie beispielsweise die Optimierung von Prozessen oder die Verbesserung der Energieeffizienz.
Obwohl viele Unternehmen bemüht sind, ihre Emissionen zu reduzieren, können sie diese aus CO2-emittierenden Produktionsprozessen oft nicht vollständig eliminieren. An dieser Stelle tritt Carbon Capturing auf den Plan, das CO2 entweder direkt an der Quelle (= Point Source) oder aus der Atmosphäre (= Direct Air Capture) einfängt.
Dies war ein Auslöser für den anfänglichen Boom der Carbon-Capturing-Technologien. Aber um als globale Gemeinschaft tatsächlich Klimaneutralität zu erreichen, braucht es mehr als diesen ersten Schub (vgl. Grafik 1). Stand Juli 2023, belaufen sich die geplanten Carbon Capturing Projekte auf nur ca. 30% der benötigten Kapazitäten, um Net Zero bis 2030 zu erreichen. Es wird deshalb erwartet, dass der Markt für Carbon Capturing in den kommenden Jahren exponentiell wachsen wird und damit weitere Herausforderungen bedingt. Doch um die aktuellen Herausforderungen, vor denen Unternehmen bei der Einführung von Carbon Capturing stehen, wirklich zu verstehen, müssen wir uns zuerst mit der zugrunde liegenden Marktlogik auseinandersetzen.
Marktlogik Carbon Capturing
Um die Dynamik hinter dem Markt für Carbon Capturing zu verstehen, sollten 6 zentrale Aspekte berücksichtigt werden: die zugrundeliegenden Technologien (1), staatliche Rahmenbedingungen (2), die Veräußerung von Zertifikaten auf dem Carbon Markt (3), die Finanzierungsmöglichkeiten durch Kapitalmärkte (4), unterstützende Aktivitäten wie Planung und Wartung (5) sowie die Interaktion mit anderen Marktteilnehmern (6).
- Technologien: Die Technologien sind das Herzstück des Marktes. Hierbei handelt es sich um Verfahren, die Kohlenstoffdioxid aus einer Quelle abscheiden. Bei der anschließenden Verarbeitung unterscheidet man zwei Verfahren: Carbon Capture and Storage (CCS) sowie Carbon Capture and Utilisation (CCU). Bei CCS wird das abgetrennte CO2 im Untergrund, sei es an Land oder am Meeresgrund, gespeichert. Im Gegensatz dazu wird bei CCU das CO2 wiederverwendet, z. B. zur Getränkeherstellung oder nach weiteren Prozessschritten zur Produktion von E-Treibstoffen. Sowohl für CCS als auch für CCU ist oftmals eine spezielle Transportinfrastruktur erforderlich, um das abgetrennte CO2 zum gewünschten Zielort zu transportieren.
- Staatliche Rahmenbedingungen: Die Politik gibt einige Bedingungen vor, innerhalb derer Carbon Capturing operiert. Es gibt finanzielle Unterstützungen, wie den EU-Innovationsfonds, der Projekte zur Entwicklung und Anwendung von CO2-armen Technologien fördert.
Der Staat fördert Carbon Capturing ebenfalls über Gesetzgebungen, die Anreize für die Nutzung der Technologie schaffen wie beispielsweise die Einführung des CSRD und des Emission Trading Systems (ETS) (vgl. Abschnitt Carbon Markt). Allerdings stoßen diese Gesetzgebungen in einigen Bereichen an Grenzen. In Deutschland und Österreich ist CCS aufgrund bundeslandspezifischer Verbote, trotz bundesweiter Erlaubnis, nicht umsetzbar. Daher weichen Unternehmen entweder auf CCU aus oder transportieren das CO2 ins Ausland. - Carbon-Markt: Unternehmen können Zertifikate für ihr gespeichertes CO2 verkaufen, mit denen andere Unternehmen oder Privatpersonen ihre Emissionen kompensieren. Dabei gibt es sowohl staatlich regulierte Kompensationssysteme, wie das ETS, als auch freiwillige Kompensationen (vgl. Grafik 3). Im ETS wird eine Obergrenze für CO2-Emissionen festgelegt. Unternehmen, die diese Grenze überschreiten, müssen Zertifikate erwerben.
- Kapitalmärkte: Über staatliche Förderungen hinaus suchen Unternehmen Finanzierungsmöglichkeiten auf den Kapitalmärkten. Dies kann klassisch über Bankdarlehen erfolgen oder durch grüne Investoren wie Private-Equity-Fonds. Innovative Geschäftsmodelle, wie Wandeldarlehen, bei denen die Einnahmen aus dem Zertifikateverkauf zur Rückzahlung des Darlehens genutzt werden, treten vermehrt auf dem Markt auf.
- Weitere betriebliche Tätigkeiten: Hierzu zählen alle operativen Tätigkeiten rund um den Betrieb einer Carbon-Capturing-Anlage, wie Management und Wartung.
- Andere Marktteilnehmer: Hierzu zählen Mittelständler und Großunternehmen, die ihre Emissionen durch Integration der Technologie reduzieren möchten, und Start-ups, die komplementäre Produkte und Dienstleistungen anbieten
Zusammengefasst bildet die Marktlogik von Carbon Capturing ein komplexes Netzwerk aus Technologien, staatlichen Rahmenbedingungen, wirtschaftlichen Interessen und weiteren Faktoren, die alle zusammenspielen und den Markt prägen. Diese Vielschichtigkeit bedeutet für Unternehmen eine signifikante Herausforderung bei der Realisierung ihrer Carbon-Capturing-Initiativen.
Herausforderungen bei der Anwendung von Carbon Capturing
Aus unserer Analyse identifizierten wir wesentlichen Hürden bei der Anwendung dieser Technologie in der Praxis, welche wir in Gesprächen mit 15 Unternehmen, die sich aktuell mit Carbon Capturing beschäftigen, validieren konnten. Die 4 Hauptprobleme sind: Technologiewahl, Absatzmarkt CO2, Investitionsentscheidung und Finanzierung von CCUS Einrichtungen.
- Technologiewahl: Die Auswahl der passenden Carbon-Capture-Technologie sowie des geeigneten Anbieters stellt für viele Unternehmen eine zentrale Herausforderung dar. Dies liegt hauptsächlich an mangelnden Informationen, die sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite fehlen. Unternehmen müssen aufgrund der Komplexität des Themas zahlreiche Faktoren in ihre Entscheidungsfindung einbeziehen, wobei diese Informationen oft schwer zugänglich sind. In unseren Untersuchungen stellten wir zudem fest, dass Technologieanbieter ebenfalls Schwierigkeiten haben, die für Kunden relevanten Produktmerkmale und Service-Anforderungen zu identifizieren.
- Absatzmarkt CO2: Da die Speicherung von CO2 in Deutschland und Österreich weitgehend verboten ist, müssen Unternehmen Lösungen für die Nutzung ihres abgeschiedenen CO2 finden. Zwar gibt es mittlerweile viele Möglichkeiten zur Abnahme von CO2, jedoch fehlt der Nachfrageseite oft der Zugang zu verlässlichen CO2-Quellen.
- Investitionsentscheidung: Aus den Interviews ging hervor, dass Carbon-Capturing-Projekte vor allem eine Voraussetzung erfüllen müssen: Sie sollten eine positive Kapitalrendite aufzeigen. Die endgültige Kapitalrendite wird durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst, die teilweise schwer zu bestimmen sind. Zum Beispiel können sich die Kosten je nach Standort erheblich unterscheiden. Zudem kann es notwendig sein, bei der Integration bestimmter Technologien die Produktion für eine kurzen Zeitraum zu unterbrechen, was zu einem möglichen Stillstand von Prozessen und damit verbundenen erheblichen Kosten führen kann. Die präzise Modellierung dieser Faktoren erweist sich daher als zentrale Herausforderung.
- Finanzierung von CCUS: Die Kosten für Carbon-Capturing-Anlagen können gelegentlich über 1 Milliarde € hinausgehen. Viele Unternehmen haben nicht die nötigen Ressourcen, um solche Projekte zu realisieren, insbesondere weil staatliche Förderungen oft nicht die gesamten Kosten decken. Daher stellt die Suche nach geeigneten Finanzierungslösungen eine Barriere für die Technologieverbreitung dar.
Carbon Capturing ist mehr als nur ein Buzzword in der aktuellen Umweltdebatte. Es stellt eine konkrete Lösung im Kampf gegen den Klimawandel dar. Die Technologie birgt ein enormes Potenzial, die CO2-Emissionen weltweit zu reduzieren. Doch wie bei vielen innovativen Ansätzen sind auch hier Herausforderungen und Unsicherheiten zu meistern. Unternehmen stehen vor Entscheidungen bezüglich Technologie, Investitionen, Finanzierung und Vermarktung. Während dies für Einzelne überwältigend erscheinen mag, bietet die Zusammenarbeit auf globaler Ebene, der Austausch von Best Practices und die ständige Weiterentwicklung der Technologie Hoffnung. Dieser Artikel hat nur an der Oberfläche dieser komplexen Materie gekratzt, doch eines ist klar: Carbon Capturing wird in den kommenden Jahren eine entscheidende Rolle spielen, und es liegt an uns allen, diesen Prozess aktiv zu gestalten und zu unterstützen.
Wenn Ihr Unternehmen bereit ist, diese Reise weiter zu erkunden und sich der Herausforderung stellen möchte, zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Gemeinsam können wir wirkungsvolle Lösungen entwickeln!